Donnerstag, 10. November 2011

Aus einem Totenhaus

©Sarah-Maria
1929 ging’s heiß her in der damals am heutigen Platz der Republik (Berlin), nahe des Bundeskanzleramtes ansässigen Krolloper: der Dirigent und Intendant Otto Klemperer führte gegen den Willen Siegfried Wagners (Sohn von Richard Wagner) und seiner Frau Winifred den „Fliegenden Holländer“ auf – und das auch noch im Gewand einer sehr modernen Inszenierung. Zu allem Überfluss tat er es in der 1843 erschienen Urfassung. Als Wagner diese Fassung schrieb war er ein recht glühender Revolutionär und wurde nach dem Dresdener Maiaufstand von 1849 sogar steckbrieflich gesucht, so dass er ins Schweizer Exil gehen musste.

Der „Hochschulring Deutscher Art“ drohte Stinkbomben zu werfen, der „Richard-Wagner-Verband Deutscher Frauen“ demonstrierte mit Plakaten und die Nationalsozialisten riefen zum Boykott auf. Doch das änderte nix: Otto Klemperer brachte das Stück zusammen mit dem Regisseur Jürgen Fehling wie geplant im Januar 1929 auf die Bühne. Nach der Vorstellung stürmten Siegfried und Winifred Wagner in völliger Entrüstung Klemperers Garderobe - und wurden von ihm mit den Worten „Herr Wagner ent-setzen Sie sich“ empfangen.

Die rechte Presse hetzte mit Parolen wie der Holländer sei zu einem „bolschewistischer Agitator“ und Senta zu einem „fanatisch exzentrisches Kommunistenweib“ entstellt worden. Und überhaupt sollte man die Krolloper schließen: „Hinaus mit den Schädlingen!“ Doch auch positive Kritik wurde z.B. in einer Frankfurter Zeitung veröffentlicht: „Der Regie gelang es, bei diesem Operntext an Hamsun denken zu lassen – in geistigen Gegenden, die Edvard Munch gemalt hat.“ Daran anknüpfend bot Klemperer der konservativen Presse im Sommer bereits neues Material sich zu ereifern, denn in Hindemith Oper „Neues vom Tage“ saß die Sopranistin zeitweise halbnackt in einer Badewanne.

Als nächstes sollte „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ von Bert Brecht und Kurt Weill auf dem Programm stehen, doch dazu kam es nicht. Klemperer zögerte in Angst vor der aufgeheizten Stimmung. Sein Dramaturg Curjel versuchte ihn zu ermutigen das Stück dennoch und gerade deshalb auf die Bühne zu bringen: „Selbstverständlich liegt schon in der Form des Werks ein gutes Stück Kritik am Bestehenden. […] Aber gerade auch deshalb gehört seine Aufführung zu unserer eigentlichen Aufgabe. Zu dem Stück zu stehen, braucht gar nicht heißen, es für eine absolute künstlerische Erfüllung zu halten, sondern baucht zunächst nur die grundsätzlicher Bejahung eines ernsten und lauteren Experiments zu sein.“ Doch Klemperer lehnte (mit Tränen in den Augen, wie Kurt Weill berichtete) schlussendlich ab. „Mahagonny“ wurde kurz darauf in Leipzig uraufgeführt und löste einen der größten Theaterskandale des Jahrhunderts aus.

©Sarah-Maria
Otto Klemperer wandelte jedoch weiterhin gekonnt zwischen zeitgenössischer Oper und den alten Meistern. In allem was er tat war er ein absoluter Perfektionist – nicht immer zur Freude seiner Mitarbeiter. Als 1930 Beethovens „Missa Solemnis“ auf dem Programm stand, kam es während der endlosen Chorproben sogar zu einigen Ohnmachtsanfällen auf Seiten der SängerInnen. Klemperers Entschuldigung: „Es ist enorm schwierig, ein Werk zu dirigieren, in dem die Realität nicht berücksichtigt wird.“

1930, mit wachsender politischer Bedeutung der Nazis, ging die Hetze gegen die Krolloper dann erst richtig los. Die Nazis riefen den „Opernkulturkampf“ aus und wetterten gegen Klemperer als Opernintendant. Nicht nur seine künstlerische Arbeit war den Nazis ein Dorn im Auge, auch seine jüdische Abstammung war zunehmend Thema in der konservativen Presse. Paul Zschorlich etwa verlangte in einem Artikel, dass Klemperer sein „kulturbolschewistisches Unternehmen […] als „Jüdische Oper“ ankündigt. […] Denn mit deutscher Kulturbetätigung hat das nichts zu tun.“ Einige Intelektuelle lehnten sich dagegen. Wie etwa Thomas Mann: „Wenn das Problem der Oper heute noch oder wieder eine geistige Angelegenheit und ein Gegenstand geistiger Auseinandersetzung ist, so ist das in erster Linie ein Verdienst dieses Instituts.“

Doch der Untergang der Krolloper war nicht mehr aufzuhalten. Im Reichstag wurde gegen die weitere Finanzierung von drei Opernhäusern in Berlin gestimmt und am 6. November 1930 war es beschlossene Sache, dass die Krolloper ihre Pforten schließen muss. Klemperer versucht es zu einem Prozess gegen die Schließung kommen zu lassen, wurde aber im Ergebnis nur an die Lindenoper als Kapellmeister weitergereicht. Dort musste er, ohne Entscheidungsgewalt, dirigieren, was Intendant Heinz Tietjen ihm vorgab. Klemperer schrieb in einem Artikel für die Berliner Zeitung: „Dann muss der „Nächste“ das Begonnene fortsetzen. Man kann unser Theater schließen, aber die Idee kann man nicht töten.“

©Sarah-Maria
Zur letzten Neuinszenierung in der Krolloper nahm Klemperer eine Konzertverpflichtung in Argentinien an und schickte zur Premiere nicht mal ein Telegramm nach Berlin. Einige Jahre später sagte er: „Was sollte ich sagen? Es gibt Todesfälle, bei denen man nicht mal kondolieren kann.“ Die Arbeit der Krolloper endete mit der deutsche Erstaufführung Leo Janaceks Oper „Aus einem Totenhaus“. Für dessen Aufführung hatte Klemperer jahrelang gekämpft. Nach der Premiere spottete Tietjen: „Wir spielen das Totenhaus, denn das Haus ist ein totes Haus.“

Nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 diente die Krolloper als provisorischer Sitz des Parlaments. Hier wurde u.a. das Ermächtigungsgesetzt verabschiedet. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude teilweise beschädigt und Ende der 50er Jahre abgerissen.

Quellen:
SWR: SWR2 Musikstunde mit Katharina Eickhoff. http://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/musikstunde/-/id=7530346/property=download/nid=659552/llnqze/swr2-musikstunde-20110302.pdf (abgerufen am 04. Juni 2011).
Komander, G.H.M.: Unterm grünen Grasen: Die Krolloper, Sitz des Reichstages 1933 bis 1945. In: Berliner Lindenblatt, (Nr. 13, September 2007).

3 Kommentare:

  1. Schön, dass du wieder da bist. Wir brauchen mehr Frauen Blog-Power:-)

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  2. ...danke, für deine wunderbaren texte... ich bin beglückt... humorvoll, informativ und... so frisch...

    liebe grüße
    gabriele

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  3. @lotus-eater: hehe^^ -> es sollte vor allem generell mehr Klassik- und Opernblogs geben!

    @LadyArt: oh lieben Dank für das Kompliment! So was geht natürlich runter wie Öl! :D

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