Donnerstag, 21. April 2011

PR-Experte

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Das Grab von Franz Liszt ist auf dem Bayreuther Stadtfriedhof zu finden. Zu Lebzeiten war der Komponist und Dirigent vor allem bekannt für sein unglaubliches Klavierspiel. Er trainierte seine Finger jeden Tag mindestens fünf Stunden und wenn grad kein Klavier zur Verfügung stand, nutze er eine eigens für diesen Zweck hergestellte stumme Tatstatur, die er stets dabei hatte.

Neben seinem musikalischen Genie war er zudem auch nicht grad eine Niete in Sachen PR: er verstand es prächtig seine eigene Erscheinung mit schillernden Geschichten, extravaganter Kleidung und exzentrischen Gesten zu vermarkten. Sein berühmter Blick gen Himmel bevor er ein Stück zu spielen begann, setzte er ebenso bewusst ein wie eine Vielzahl anderer Gesten: z.B. sollte man laut ihm bei einem Klavierkonzert die Hände – wenn man grad Sendpause hatte und das Orchester spielte – vor jedem Einsatz zunächst über den Tasten schweben lassen, bevor man zu spielen beginnt. Oder nach einem ruhigen Stück die Hände wie zu einem Gebet falten. Dies predigte er auch seinen Schülern und untermauerte seine Vorträge stets mit: „Die Leute kommen nicht, um uns zu hören, sie wollen uns gehört haben!“

Doch der effektvollste PR-Gag Liszts dürfte die Tatsache gewesen sein, dass die damals noch nicht mit einem Stahlrahmen ausgestatteten Flügel selten seinem ausdrucksstarken Spiel gewachsen waren und in der Regel seine Konzerte nicht überstanden. Daher ließ er auf der Bühne grundsätzliche zwei aufstellen. So musste das Konzert nicht  lange unterbrochen werden und er konnte, nach Zerstörung der Tasten und Seiten, einfach das Instrument wechseln. Dies machte mächtig Eindruck auf die Schickeria des 19. Jahrhunderts. So äußerte sich die Fürstin Metternich nach einem Konzert: „Als Prinz Eugen die Türken schlug, brach das Muselmanenreich zusammen. Diesmal war es Franz Liszt, und das Reich, das er zerschlug, bestand aus Holz und Saiten. Man fühlt sich nach einem solchen Konzert wie zerstückelt.“ Und Clara Wieck (später Schuhmann) sagte 1838, nachdem sie Liszt zum ersten Mal spielen sah: „[Dass er ein] turbulenter, cholerischer Demagoge [sei], der alles fordert, alles …. Und sei es die stabilste Konstruktion seines Klaviers, denn er ist durchaus in der Lage, ein solches an einem Abend in den Orkus zu befördern.“

Quellen:
Raderer, F.C./Wehmeiner, R.: Fortissimo – Musiker-Anekdoten: Stuttgart: Reclam, 2009.

Sonntag, 10. April 2011

Casanova, Da Ponte und Mozart

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Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791) komponierte seine Opern in einer Zeit, in der Liebe und Ehe in den seltensten Fällen zusammengehörten. Eheschließungen wurden vom gesllschaftlichen Stand und den Eltern bestimmt. Zudem fand ein Familienleben zwecks oder mit Kindererziehung in den adeligen Kreisen kaum statt: die gemeinsamen Kinder wurden in der Regel extern erzogen und nicht einmal von der Mutter gestillt. Mit der Ehe als Liebe auf dem Papier, waren Liebschaften bei Hofe meist nicht einmal ein offenes Geheimnis, sondern einfach nur offen – ohne Geheimnis. Sinnlichkeit wurde mehr oder weniger öffentlich in zahlreichen Affären, symbolhafter und nicht zuletzt auch dekadenter Kunst ausgelebt. Wie z.B. in der Malerei, Musik oder auch Architektur und Gartenkunst: muschelförmige Ornamente (Rocaille) mit zugleich offenkundig wie assoziativ sexueller Bedeutung war eines der wichtigsten Stilmittel im Rokoko.

Mozart selbst war auch kein Kind von Traurigkeit und pflegte z.B. mit so ziemlich jeder seiner Klavierschülerinnen eine Liebschaft. Seine Frau Konstanze stand ihm da in nix nach und lebte sogar zeitweise mit dem Schüler und Vertrauten ihres Mannes Franz Xaver Süßmayr gemeinsam in Baden – was zur Folge hatte, dass der Vater des letzten Mozart-Sohnes – der bezeichnenderweise auf den Namen Franz-Xaver hörte – niemals eindeutig festgestellt werden konnte.

Doch nicht nur im Mozart’schen Eheleben ging es freizügig zu: kein geringerer als Giacomo Casanova machte zusammen mit Mozarts späteren Librettisten Lorenzo Da Ponte Europa und dessen Schlafzimmer unsicher. Da Ponte, knapp 25 Jahre jünger als Casanova und sieben Jahre älter als Mozart, wurde in ärmlichen Verhältnissen geboren, arbeitete sich jedoch bis zum Texter des kaiserlichen Hofes hoch – und war dennoch in ständiger Geldnot.

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Doch auch wenn die literarischen Werke Casanovas und Da Pontes vor allem von ihren Liebesabenteuern handeln, greift eine Reduzierung darauf viel zu kurz: denn genau wie Mozart hatten sie einen scharfen Blick für gesellschaftliche Verhältnisse und Verstrickungen. Ihre Texte lassen auf eine im Geiste der Aufklärung gesellschaftskritische Gesinnung schließen. Bezeichnend dafür flog Da Ponte noch während seiner Ausbildungszeit wegen Verbreitung der philosophischen Ideen Rousseaus nicht nur aus einem Priesterseminar, sondern wurde komplett aus Venedig verbannt. Casanova erging es in Venedig noch schlechter: er wurde der wohl bekannteste Insasse bzw. Flüchtling der berüchtigten Bleikammern im Dogenpalast. Nach seiner Flucht lebte er sein Leben in gewohnter Weise weiter und starb am 4. Juni 1798 im Alter von 73 Jahren hier auf Schloss Duchcov.

Da Ponte führte sein Weg über Dresden nach Wien. Dort schrieb er u.a. für die beiden Hofkomponisten Salieri und Mozart Libretti. Ein Jahr nach Mozarts Tod wanderte er, hoch verschuldet und aus Wien verbannt, nach New York aus. Dort betrieb er zunächst eine italienische Buchhandlung, wurde schließlich zum Honorarprofessor an der Columbia University ernannt, gründete dort die Fakultät für italienische Sprache und Literatur, schrieb mit „Erinnerungen“ seine Autobiographie, war Initiator des ersten New Yorker Opernhauses und starb 1838 arm, fast 90jährig, in bester geistiger Verfassung und mit einer unglaublich reichen Biographie.

Begleitet von diversen Streitigkeiten zwischen Librettist und Komponist hatte Da Ponte die Libretti zu einigen der berühmtesten Mozartopern überhaupt verfasst: Die Hochzeit des Figaros (1786), Don Giovanni (1787) und Cosi fan Tutte (1790) – alle drei nicht gerade eine Ode an die Treue:

Die Hochzeit des Figaros knüpft an das Schauspiel „Le Barbier de Séville“ (Beaumarchais) und späteren Rossini-Oper an: im Schauspiel jagt der Graf Almaviva der hübschen Rosina hinterher und kann sie schließlich zu seiner Gräfin machen. Doch im Hafen der Ehe angelangt (an dem Punkt beginnt die Mozart Oper), kann er die Finger nicht von Anderen lassen und beklagt, dass er sich dazu hinreißen lassen hat „das Recht der ersten Nacht“ aufzugeben. Er ist nämlich aktuell scharf auf die bald heiratende Susanna. Sie wiederrum will den Figaro ehelichen – den aber auch Marcellina gerne hätte. Jene stellt sich im Verlauf der Handlung als seine Mutter heraus und scheidet somit als Konkurrentin aus. Die Gräfin ihrerseits pflegt ein mehr oder weniger passives Verhältnis zu dem Pagen Cherubino und am Ende singen sie alle gemeinsam im Chor: „Uns beglückt der Liebe Hand! Lacht und singet, scherzt und springet! Ewig sei der Gram verbannt!“

Don Giovanni ist eine Oper über den Don Juan Mythos – könnte aber genauso gut das Leben von Casanova bzw. Da Ponte darstellen: denn der gute Don sammelt nicht nur Liebschaften, sondern lässt sie von seinem Diener auch schriftlich festhalten und gerät schließlich in einen Konflikt mit einer Statue, die irgendwas im Dunstkreis eines Vaters, Gewissens, Gesetzes, Über-Ichs oder Moral darstellt.

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In der Oper Cosi fan Tutte werden Da Ponte und Mozart schließlich noch direkter und lassen die Liebesschwüre zweier Liebespaare kläglich scheitern: am Ende des munteren Partnertausches sind alle erneut überglücklich verknallt – und es kann von vorne losgehen…..

Spätere Koryphäen der Musikwelt wie etwa Beethoven reagierten angesichts Da Pontes Libretti durchaus abwertend und betitelten sie als frivol, unsittlich oder banal. Auch das war einer der Gründe, warum z.B. die Oper Cosi fan Tutte lange Zeit von den Bühnen der Opernhäuser verschwand.

Quellen:
Raderer, F.C./Wehmeiner, R.: Fortissimo – Musiker-Anekdoten: Stuttgart: Reclam, 2009.
Batta, A. (Hrsg.): Opera – Komponisten, Werke, Interpreten. Köln: Könemann Verlagsgesellschaft mbH, 1999.
Der Brockhaus: Oper. Gütersloh: Brockhaus in der Wissenmedia, 2002.