Dienstag, 5. Juni 2012

Fazil Say in der Türkei angeklagt

Es gibt nicht viele Künstler, denen ich oft und immer wieder hinterherreise, nur um sie live zu sehen. Der Pianist und Komponist Fazil Say gehört zu ihnen – und das schon seit mehreren Jahren. Ich habe alle seine CD’s und höre sie rauf und unter. Seine Interpretationen sind sicherlich oftmals ein wenig unkonventionell und auch nicht jedermanns Geschmack, aber ich vergöttere ihn. ;) Und nicht nur ich: die französische Zeitung Le Figaro schrieb über Fazil Say: „Er ist nicht nur ein genialer Pianist, er wird zweifellos einer der großen Künstler des 21. Jahrhunderts sein.“

Nun soll er in seinem Heimatland der Türkei am 18. Oktober auf die Anklagebank. Ihm drohen bis zu 18 Monate Haft, aufgrund von religionskritischer Bemerkungen.

Ich habe in der Vergangenheit schon hin und wieder Interviews mit ihm gelesen, in denen er über die Verhältnisse in der Türkei gesprochen hat und öffentlich angekündigt hat das Land zu verlassen. Doch Hauptstreitpunkt sind nun offenbar einige Tweets, die er selbst verfasst oder retweetet hat. Sie sind mittlerweile in seinem Account gelöscht.

In der Anklageschrift heißt es laut Süddeutscher Zeitung, dass Fazil Say zum Hass aufgestachelt habe und religiöse Werte verunglimpfe. Der Staatsanwalt sei sogar der Auffassung Fazil Says Tweets könnten „zum Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung führen".

Das Ganze soll begonnen haben, als er Anfang April twitterte: "Du behauptest, durch die Bäche wird Wein fließen - ist das Paradies etwa eine Schänke? Du sagst, jeder Gläubige wird zwei Jungfrauen bekommen - ist das Paradies etwa ein Bordell?" Daraufhin brach ein wahrer Shitstorm auf ihn los, er wurde übel beschimpft und konterte mit Humor: "Der Muezzin trägt seinen Aufruf zum Abendgebet in 22 Sekunden vor. Prestissimo con fuoco!! Warum so eilig? Eine Geliebte? Der Raki-Tisch?" oder „Wo immer ein Narr oder ein Dieb ist, sie glauben alle an Gott. Ist das ein Widerspruch?“

Fazil Say hat sich indes geäußert, dass er niemanden beleidigen wolle, doch Meinungsfreiheit sei ein Recht für alle. Er hat sich in der Vergangenheit schon mehrfach mit der konservativen Regierung um Premierminister Tayyipp Erdogan angelegt und dieser hat nun offenbar vor dem berühmten Kritiker eins auszuwischen.

Ich bin schockiert und fassungslos!!

6 Kommentare:

  1. Ja, liebe Sarah-Maria,

    das ist eben die Verlogenheit der Religionen, gleich welcher Art. Seit eh und je wurde im Namen Gottes gemordet, geschändet, vergewaltigt uvm. Ist es das was dieser Gott, wer es immer auch ist, wollte?? Ich finde, dass Glaubensfreiheit und Meinungsfreiheit elementare Grundrechte sind. Wenn diese aber in Diktatur und Herrschertum abdriften, dann ist es gefährlich und das ist mit unter ein Grund, warum auf dieser Welt Kriege geführt werden, natürlich immer im Namen Gottes.

    Ach, was sind das nur für Heilige, diese armen Narren von Größenwahnsinnigen, die eine Welt beherrsch wollen, die nicht ihnen allein gehört, sondern allen Lebewesen dieser Erde.

    Was sind das für Götter, denen gehuldigt wird? die dann aber gleichzeitig all Das gutheißen und dulden, was der Mensch an Verbrechen an seinen eigenen Mitmenschen, an allen Lebewesen und der Natur antut.

    Ich finde seit ich denken kann keine Antwort zu diesem gelebten Wahnsinn, eines aber weiss ich genau, die Menschheit macht sich selbst kaputt und wird sich eines Tages selbst ausgelöscht haben. Derweil hat die Natur viel Zeit, all das, was ihr diese Wahnsinnigen angetan, auszukurieren und sich selbst zu regenerieren...

    Herzlichst und alles Liebe

    Hans-Peter

    AntwortenLöschen
  2. Zu einer Verurteilung wird es mE wohl nicht kommen und falls doch, wird die Strafe dementsprechend gering ausfallen.

    Der Zweck, unliebsame Stimmen durch eine Anklage abzuwürgen, wird aber allemal erreicht. In der Türkei hat das leider schon Tradition.

    Leider ist die Türkei bei weitem nicht so aufgeklärt und modern, wie wir gerne glauben wollen. Ohne mir eine besondere Kenntniss der Verhältnisse in der Türkei anmaßen zu wollen, bleibt die Türkei in meinen Augen ein höchst widersprüchliches Land - nicht nur aus politischer Sicht. Gerade lernen wir wieder eine bittere Seite kennen.

    AntwortenLöschen
  3. Mhm. Ich liege da wohl ein wenig zwischen euren Meinungen. Und, Hans-Peter, nenn' mich naiv ;), aber ich habe noch große Hoffnung für die Menschheit. Denn bei allem Schlechten, gibt es doch auch viel Gutes. Oder?

    ....und Mathias, du als Jurist ;) weißt es vermutlich am besten, dass eher selten die Höchststrafen verhängt werden. Aber wie du schon sagst, geht es vermutlich gar nicht um die tatsächliche Strafe, sondern allein die Androhung reicht, um Leute mundtot zu machen.

    Und genau das ist der Punkt! Und auch der Unterschied zwischen Provokation und Meinungsfreiheit. Denn wenn ich mich morgen früh zusammen mit meinem ersten Kaffee in sämtliche Internet-Netzwerke aufmache und überall poste:

    Was ist, wenn der Papst Viagra nimmt? => Heiliges Kanonenrohr

    ....lacht vermutlich niemand – oder wenn dann heimlich. ;) Aber es regt sich auch niemand auf. Die meisten werden es nach 10 Minuten wieder vergessen haben. Wenn ich mich im Anschluss auch noch auf meinen Balkon stellen würde und einmal tief Luft holen würde, um dann mit Wucht hinauszubrüllen: ICH BIN DER ANTICHRIST!!!! GOTT IST TOT!!! Würden sich die meisten Nachbarn wohl eher durch den Lärm, als durch den Inhalt belästigt fühlen und denken: Echt jetzt?! Muss das sein?! (Gut, einige würden vielleicht auch in der Psychiatrie anrufen, aber das ist nicht der Punkt). – Und nein, das muss nicht sein. Aber eben nur solange nicht, wie ich befürchten müsste nur für den Lärm, aber nicht für den Inhalt Ärger zu bekommen. Andernfalls müsste es sein – und zwar jeden Morgen! Sorry, Nachbarn. ;)

    Denn wie wir ja wissen:
    "Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei - mögen sie noch so zahlreich sein - ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden. Nicht wegen des Fanatismus der »Gerechtigkeit«, sondern weil all das Belebende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn die »Freiheit« zum Privilegium wird" (Rosa Luxemburg)

    AntwortenLöschen
  4. Menschen ändern sich nie und Say kann die türkische Gesellschaft nicht verändern. Also, wozu soviel Mühe?
    Ich persönlich ziehe einen Pianist vor, der eine gewisse Distanz zu allem hält. Er lebt ja so wie so in einer anderen Welt.
    Busoni sagte einmal, das Leben reiche nicht, um die Hammerklaviersonate von Beethoven zu spielen. Anstatt seine Zeit wegen solchen Leute zu verschwenden, sollte Say sich in seiner Musik vertiefen.
    Übrigens hat er schon seine Auswanderung nach Japan angekündigt. Eine gute Idee.
    Dort werden Künstler unabhängig von ihrer Abstammung und Herkunft hoch geachtet.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Also, ich weiß nicht. Das würde ja bedeuten, dass es niemals und zu keiner Zeit Veränderung geben kann. Daran glaube ich nicht. Fazil Say kann sicher nicht alleine eine Gesellschaftsordnung ändern, aber wer, wenn nicht Menschen, können etwas anregen und bewegen. Veränderungen machen sich schließlich nicht von alleine.

      Und mir sind Künstler, denen die Welt um sie herum etwas angeht echt "lieber". Wobei das irgendwie ein falsches Wort ist, denn ich frage mich, wie man seinen Ausdruck und seine Inspiration finden mag, wenn einem Dinge, die um einem herum passieren, nicht nahe gehen....

      Löschen
  5. Gregory Sokolov ist einer der größten Pianisten aller Zeit. Über sein Leben weiß man kaum, denn er gibt so gut wie keine Interviews. Genauso wie Kissin und einige andere großartige Pianisten.

    Interpreten sind ja nur Nachschöpfer und Inspiration findet man in den Noten. .
    Es gibt gut 30.000 Klavierliteraturen. Man hat nicht viel Zeit, sich über andere Dinge Gedanken zu machen. Da ich vier Jahre lang intensiv damit beschäftigt war, weiß, wovon ich rede.

    Ich frage mich, mit wem Say kommuniziert hat. Die türkische Klavier-Liebhaber glauben bestimmt nicht an Jungfrau-Paradis-Bullshit. Ein Pianist ist für sein Publikum da, nicht für die Masse.

    AntwortenLöschen

Ich freue mich immer über Kommentare, Kritik, Empfehlungen, Meinungen, Diskussionen, ... - also hau' in die Tasten! :D

Und kleiner Tipp falls du nicht bei blogger, etc. angemeldet bist: einfach den Kommentar eintippen und dann die Funktion „Name/URL“. anklicken. Dann den Namen bzw. Nickname eingeben und abschicken. Eine Webadresse kann, muss aber nicht angeben werden. Denn es lässt sich angenehmer diskutieren, wenn maximal eine Person "Anonym" ist..... ;)

P.S.: ....und hier wird gnadenlos geduzt :D