Regisseur
Claus Guth ließ den Siegfried auf der Bühne als das erscheinen, was er
letztendlich ist: nämlich ein pubertierender Junge, der sich alleingelassen und
recht ziellos durch die komplette Sagenwelt prügelt. Christian Franz hat diese
Partie, wie gewohnt, nicht nur gut gesungen, sondern auch einmalig toll
gespielt: Man hat ihm den aggressiven Jungen, der niemals stillsitzen kann und
schnell draufhaut ebenso abgenommen, wie die quälende Identitätssuche, die ihn
nicht zur Ruhe kommen lässt. Mit Tiermasken verkleidet suchte Siegfried
verzweifelt nach seinem Ursprung und seiner Identität.
Mime,
sehr gelungen interpretiert von Jürgen Sacher, war mit den quälenden Fragen des
Jungen völlig überfordert und verkroch sich am liebsten, zusammen mit diversen
Pillen, in seinem Bett. Er hatte es sich vermutlich einfacher vorgestellt ein Kind
nach seinen Vorstellungen zu formen und hatte nun - da Siegfried stärker war als er und eigentlich auch schon nicht mehr in sein Kinderbett so richtig
reinpassen mochte - die Kontrolle verloren. Mime war (schon längst) völlig
wahnsinnig und geplagt von etlichen Ticks. Siegfried tat einem richtig Leid,
vor allem da er immer noch viele sehr kindliche Eigenschaften hatte. Er
schleppte z.B. ständig eine Puppe mit sich rum, die ihm äußerst ähnlich sah und
wohl so etwas, wie seine Familie für ihn symbolisierte.
Den
Wanderer/ Wotan versuchte Mime erfolglos von hinten zu erdrosseln und bekam
schließlich doch noch den entscheidenden Tipp zur Neukonstruktion des Schwertes
Nothung. Falk Struckmann war am Sonntag wieder gesund und konnte somit wieder
auf der Bühne stehen. Seine Stimme donnerte mit viel Ausdruck eindrucksvoll die
Partie und auch körperlich schien er bei Kräften, denn er rammte seinen Speer
dann doch etwas zu heftig in den Kulissenboden, so dass dieser
auseinandersprang.
Als
Siegfried schließlich von seiner Herkunft erfuhr, schmiedete er wahnhaft,
aggressiv und gleichzeitig euphorisch das Schwert mithilfe aller erdenklichen
Alltagsgegenstände: Er zerlegte, als wenn es kein Morgen mehr geben würde, die
komplette Einrichtung. Selbst seine Puppe musste dran glauben. Am Ende des ersten
Aufzugs presste Siegfried sein Gesicht gegen eine kleine milchige Scheibe zur
Außenwelt. Eins war klar: er wird niemals wieder zurückkehren.
Im
zweiten Aufzug fanden sich Mime und Siegfried vor der Höhle des Riesen Fafner
(Wilhelm Schwinghammer) ein. Alberich, grandios interpretiert von John Wegner,
versuchte sein sinnloses Dasein in Alkohol zu ertränken und war genau wie Mime,
ohne mit der Wimper zu zucken, bereit, Siegfried zugunsten des Rings zu opfern.
Die Kulisse erinnerte an einen DDR-Zoo: kahle zweckmäßige Fliesen kleideten den
Boden vor der Höhle ein, welche sich hinter einer riesigen zerbrochenen Scheibe
befand. Dort wucherte seit Jahren eine Art Urwald vor sich hin. Mit dem
Erschlagen der vermeintlichen Bestie fiel die Blätterwand und eine weitere Wand
trat zum Vorschein.
Der
Waldvogel (gesungen von einer etwas schwächelnden Gabriele Rossmanith) kann in
der Guth-Inszenierung als eine Art innere Stimme verstanden werden, die Siegfried
zu entschlüsseln lernt. Er trat als Spiegelbild von Siegfried auf. Doch nachdem
Siegfried Fafner erschlagen hatte, musste er sich erstmal mit den nach dem Ring
geifernden Männern auseinandersetzen. Mime berichtete, nicht einmal hinter
vorgehaltener Hand nur zu sich selbst, seine mörderischen Pläne, sondern sagte es
Siegfried frei heraus ins Gesicht. Dass Siegfried ihn dann im letzten
Augenblick aus Notwehr erschlug war gleichzeitig Erlösung wie auch die
Erkenntnis, dass er nun absolut auf sich gestellt ist.
Im
dritten Aufzug suchte Wotan Erda (Deborah Humble) in ihrer allwissenden
Bibliothek auf und scheiterte schließlich daran Siegfried aufzuhalten. Wotans
Macht war gebrochen. Siegfried konnte ungehindert seine Suche nach Brünnhilde
fortsetzen, die von Catherine Foster wirklich wunderbar gesungen wurde. Ihre
Stimmfarbe ist einmalig schön.
Da
seit dem Feuerzauber bekanntlich einige Zeit vergangen war, glich Brünnhildes,
schon im ursprünglichen Zustand nicht gerade wohnlichem zu Hause, nun einer
völligen Ruine. Die obere Etage war heruntergekracht und Siegfried stand vor
drei Fenstern: einem geschlossenen (erster Aufzug), einem zerbrochenen (zweiter
Aufzug) und einem dritten, welches sich öffnen ließ.
Siegfried
küsste Brünnhilde wach, musste jedoch feststellen, dass diese so gar nicht
über seine Anwesenheit erfreut war. Hier nahm Claus Guth das Libretto beim Wort
und ließ Siegfried sogar resigniert den Walkürenfelsen verlassen – um ihn
schließlich doch noch für einen zweiten Versuch zurückkehren zu lassen. Am Ende
zerschlug Siegfried den Spiegel (den man schon aus der Walküre kannte) und die beiden bestritten das Liebesduett nicht
in inniger Umarmung, sondern nebeneinander. Sie zerfledderten Bücher (das
Wissen der Nornen und Götter).
Als
ich die Regie das erste Mal gesehen habe, hat mich die Oper sehr an die
Zauberflöte erinnert. Auch da spielt ja der Konflikt Wissen/ Vernunft vs. Natur/
Emotion in der eigenen Identitätssuche eine große Rolle. Nur dass es hier
eher umgekehrt ist: Bei Mozart symbolisiert Sarastro, als Mann, das Wissen und
die Königin der Nacht, als Frau sowie der Papageno, als na ja, irgendwie
triebhaftes schon fast tierisches Wesen, die Natur.
Danke für den ausführlichen Bericht, ich wollte mir die Inszenierung ebenfalls ansehen. Aber entweder hab ich sie völlig überlesen, oder deine persönliche Meinung steht nicht im Text ;-) Was hältst du denn von der Inszenierung? Hat sie dir gut gefallen oder nicht?
AntwortenLöschenHallo Lisa, sorry, da hätte ich meine Meinung wohl etwas freier herausschreien sollen.... ;) Ich steh' total auf die Inszenierung!!!! :D Ich finde sie spannend und gut durchdacht. Allerdings, da kenn' ich deine Vorlieben nicht, würde sie jemanden, der ausschließlich auf klassische Inszenierung steht, wohl eher nicht gefallen. Vom Premierenpublikum wurde die Inszenierung damals mit geteilten Meinungen aufgenommen. Es gab ebenso Buhs wie Bravi.
Löschen...innigsten dank für deine ausführlichen beschreibungen der inszenierungen. untermalt mit den videoclips gelingt es mir doch die detaillierten anmerkungen besser zu verstehen und im eigentlichen sinne überhaupt zu verstehen. erstaunliche regie, visionäre gedanken... der ansatz bisweilen doch ein wenig überzeichnet in der banalen trostlosigkeit - finde ich, aber sicherlich vollkommen stimmig im ganzen. schade, dass ich so weit weg bin und leider keine deiner besprechungen live erleben kann. wie genussvoll ist es, jetzt endlich wieder hier zu sein um wenigstens davon lesen zu können. danke für deine arbeit!!! ich hoffe, viele leser nehmen dieses blog wahr...
AntwortenLöschenich werde einen link bei meiner fb-seite: literatur und kunst einfügen und hoffe, dass du nichts dagegen hast. so viel arbeit sollte kraftvoll gewürdigt werden....
liebe grüße
gabriele
Hallo Gabriele, vielen lieben Dank für deinen Kommentar und ganz besonders auch für die Verlinkung! Was du schreibst freut mich wirklich sehr! :)
LöschenMit einem lieben Gruß,
Sarah