Mittwoch, 15. Februar 2012

Siegfried - Staatsoper Hamburg

Hier nun mein, leider etwas verspäteter, Eindruck vom Hamburger Siegfried am letzten Sonntag:

Regisseur Claus Guth ließ den Siegfried auf der Bühne als das erscheinen, was er letztendlich ist: nämlich ein pubertierender Junge, der sich alleingelassen und recht ziellos durch die komplette Sagenwelt prügelt. Christian Franz hat diese Partie, wie gewohnt, nicht nur gut gesungen, sondern auch einmalig toll gespielt: Man hat ihm den aggressiven Jungen, der niemals stillsitzen kann und schnell draufhaut ebenso abgenommen, wie die quälende Identitätssuche, die ihn nicht zur Ruhe kommen lässt. Mit Tiermasken verkleidet suchte Siegfried verzweifelt nach seinem Ursprung und seiner Identität.

Mime, sehr gelungen interpretiert von Jürgen Sacher, war mit den quälenden Fragen des Jungen völlig überfordert und verkroch sich am liebsten, zusammen mit diversen Pillen, in seinem Bett. Er hatte es sich vermutlich einfacher vorgestellt ein Kind nach seinen Vorstellungen zu formen und hatte nun  - da Siegfried stärker war als er und eigentlich auch schon nicht mehr in sein Kinderbett so richtig reinpassen mochte  - die Kontrolle verloren. Mime war (schon längst) völlig wahnsinnig und geplagt von etlichen Ticks. Siegfried tat einem richtig Leid, vor allem da er immer noch viele sehr kindliche Eigenschaften hatte. Er schleppte z.B. ständig eine Puppe mit sich rum, die ihm äußerst ähnlich sah und wohl so etwas, wie seine Familie für ihn symbolisierte.

Den Wanderer/ Wotan versuchte Mime erfolglos von hinten zu erdrosseln und bekam schließlich doch noch den entscheidenden Tipp zur Neukonstruktion des Schwertes Nothung. Falk Struckmann war am Sonntag wieder gesund und konnte somit wieder auf der Bühne stehen. Seine Stimme donnerte mit viel Ausdruck eindrucksvoll die Partie und auch körperlich schien er bei Kräften, denn er rammte seinen Speer dann doch etwas zu heftig in den Kulissenboden, so dass dieser auseinandersprang.  

Als Siegfried schließlich von seiner Herkunft erfuhr, schmiedete er wahnhaft, aggressiv und gleichzeitig euphorisch das Schwert mithilfe aller erdenklichen Alltagsgegenstände: Er zerlegte, als wenn es kein Morgen mehr geben würde, die komplette Einrichtung. Selbst seine Puppe musste dran glauben. Am Ende des ersten Aufzugs presste Siegfried sein Gesicht gegen eine kleine milchige Scheibe zur Außenwelt. Eins war klar: er wird niemals wieder zurückkehren.

Im zweiten Aufzug fanden sich Mime und Siegfried vor der Höhle des Riesen Fafner (Wilhelm Schwinghammer) ein. Alberich, grandios interpretiert von John Wegner, versuchte sein sinnloses Dasein in Alkohol zu ertränken und war genau wie Mime, ohne mit der Wimper zu zucken, bereit, Siegfried zugunsten des Rings zu opfern. Die Kulisse erinnerte an einen DDR-Zoo: kahle zweckmäßige Fliesen kleideten den Boden vor der Höhle ein, welche sich hinter einer riesigen zerbrochenen Scheibe befand. Dort wucherte seit Jahren eine Art Urwald vor sich hin. Mit dem Erschlagen der vermeintlichen Bestie fiel die Blätterwand und eine weitere Wand trat zum Vorschein.

Der Waldvogel (gesungen von einer etwas schwächelnden Gabriele Rossmanith) kann in der Guth-Inszenierung als eine Art innere Stimme verstanden werden, die Siegfried zu entschlüsseln lernt. Er trat als Spiegelbild von Siegfried auf. Doch nachdem Siegfried Fafner erschlagen hatte, musste er sich erstmal mit den nach dem Ring geifernden Männern auseinandersetzen. Mime berichtete, nicht einmal hinter vorgehaltener Hand nur zu sich selbst, seine mörderischen Pläne, sondern sagte es Siegfried frei heraus ins Gesicht. Dass Siegfried ihn dann im letzten Augenblick aus Notwehr erschlug war gleichzeitig Erlösung wie auch die Erkenntnis, dass er nun absolut auf sich gestellt ist.

Im dritten Aufzug suchte Wotan Erda (Deborah Humble) in ihrer allwissenden Bibliothek auf und scheiterte schließlich daran Siegfried aufzuhalten. Wotans Macht war gebrochen. Siegfried konnte ungehindert seine Suche nach Brünnhilde fortsetzen, die von Catherine Foster wirklich wunderbar gesungen wurde. Ihre Stimmfarbe ist einmalig schön.

Da seit dem Feuerzauber bekanntlich einige Zeit vergangen war, glich Brünnhildes, schon im ursprünglichen Zustand nicht gerade wohnlichem zu Hause, nun einer völligen Ruine. Die obere Etage war heruntergekracht und Siegfried stand vor drei Fenstern: einem geschlossenen (erster Aufzug), einem zerbrochenen (zweiter Aufzug) und einem dritten, welches sich öffnen ließ.

Siegfried küsste Brünnhilde wach, musste jedoch feststellen, dass diese so gar nicht über seine Anwesenheit erfreut war. Hier nahm Claus Guth das Libretto beim Wort und ließ Siegfried sogar resigniert den Walkürenfelsen verlassen – um ihn schließlich doch noch für einen zweiten Versuch zurückkehren zu lassen. Am Ende zerschlug Siegfried den Spiegel (den man schon aus der Walküre kannte) und die beiden bestritten das Liebesduett nicht in inniger Umarmung, sondern nebeneinander. Sie zerfledderten Bücher (das Wissen der Nornen und Götter).

Als ich die Regie das erste Mal gesehen habe, hat mich die Oper sehr an die Zauberflöte erinnert. Auch da spielt ja der Konflikt Wissen/ Vernunft vs. Natur/ Emotion in der eigenen Identitätssuche eine große Rolle.  Nur dass es hier eher umgekehrt ist: Bei Mozart symbolisiert Sarastro, als Mann, das Wissen und die Königin der Nacht, als Frau sowie der Papageno, als na ja, irgendwie triebhaftes schon fast tierisches Wesen, die Natur.


4 Kommentare:

  1. Danke für den ausführlichen Bericht, ich wollte mir die Inszenierung ebenfalls ansehen. Aber entweder hab ich sie völlig überlesen, oder deine persönliche Meinung steht nicht im Text ;-) Was hältst du denn von der Inszenierung? Hat sie dir gut gefallen oder nicht?

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    1. Hallo Lisa, sorry, da hätte ich meine Meinung wohl etwas freier herausschreien sollen.... ;) Ich steh' total auf die Inszenierung!!!! :D Ich finde sie spannend und gut durchdacht. Allerdings, da kenn' ich deine Vorlieben nicht, würde sie jemanden, der ausschließlich auf klassische Inszenierung steht, wohl eher nicht gefallen. Vom Premierenpublikum wurde die Inszenierung damals mit geteilten Meinungen aufgenommen. Es gab ebenso Buhs wie Bravi.

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  2. ...innigsten dank für deine ausführlichen beschreibungen der inszenierungen. untermalt mit den videoclips gelingt es mir doch die detaillierten anmerkungen besser zu verstehen und im eigentlichen sinne überhaupt zu verstehen. erstaunliche regie, visionäre gedanken... der ansatz bisweilen doch ein wenig überzeichnet in der banalen trostlosigkeit - finde ich, aber sicherlich vollkommen stimmig im ganzen. schade, dass ich so weit weg bin und leider keine deiner besprechungen live erleben kann. wie genussvoll ist es, jetzt endlich wieder hier zu sein um wenigstens davon lesen zu können. danke für deine arbeit!!! ich hoffe, viele leser nehmen dieses blog wahr...

    ich werde einen link bei meiner fb-seite: literatur und kunst einfügen und hoffe, dass du nichts dagegen hast. so viel arbeit sollte kraftvoll gewürdigt werden....

    liebe grüße
    gabriele

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    1. Hallo Gabriele, vielen lieben Dank für deinen Kommentar und ganz besonders auch für die Verlinkung! Was du schreibst freut mich wirklich sehr! :)

      Mit einem lieben Gruß,
      Sarah

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