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Angelehnt ist das Stück an den Shakespeare Klassiker „King Lear“ sowie außerdem von dem 1936 in Berlin geborenen Komponisten mit einigen – nicht nur musikalisch – aktuelleren Assoziationen versehen. „Ein Stoff der mit unserer Zeit nix zu tun hat, den kann ich sowieso nicht vertonen“, so Reimann im Interview mit NDR-Kultur.
Reimann war heute Abend vor Ort und verweilt zudem schon seit einigen Wochen in Hamburg, um die Schlussproben zu begleiten. Die Regie von Karoline Gruber sei an dieser Stelle von mir in den höchsten Tönen gelobt: ein unglaublich sinnreiches und düster ästhetisches Bühnenbild, welches der Oper einiges an zusätzlicher Ausdruckskraft verlieh sowie die Figuren punktgenau charakterisierte. Die Zerstörung und Zerrüttung der Protagonisten durch den grausamen Erbschaftsstreit um die Macht, ließ die Figuren durch einen Wald von Wahnsinn und Ich-Bezogenheit irren. Sehr eindrucksvoll im Bühnenbild integriert stand daher Wort wörtlich das auf der Bühne, was die Figuren auf ihrer Reise vorantrieb: in erster Linie wurde augenscheinlich gemacht, in wie vielen Worten das Wort „Ich“ steckt. Allem Anfang machte da der Ausdruck KönigreICH. Aber auch VerzICHt oder sogar Ver-Lust fanden Platz im Grundthema.
Die musikalische Leitung hatte Intendantin und Generalmusikdirektorin Simone Young inne und führte souverän durch den Abend. Die Besetzung war nicht nur in musikalischer Hinsicht sehr gelungen, sondern es wurde auch schauspielerisch einiges vom Sänger-Ensemble geleistet. Unterstützt wurden die Sänger von Erwin Leder als Narr in einer Sprechrolle. Einigen von euch dürfte er aus dem Film „Das Boot“ bekannt sein.
Die Rolle des König Lear war mit Bo Skovhus prominent und ideal besetzt. Er sang seine Partie wahnsinnig eindrucksvoll und tiefenintensiv. Seine drei Töchter Goneril (Katja Pieweck), Regan (Hellen Kwon) und Cordelia (Ha Young Lee) wurden alle drei von Mitgliedern des Hamburger Ensembles bestritten – und gestalteten ihre Rollen gekonnt empathisch. Die Söhne des Königs wurden von Martin Homrich (Edmund) und Andrew Watts (Edgar) gesungen. Letzterer wechselte im Laufe des Stücks, um unerkannt zu bleiben, nicht nur seinen Namen von Edgar zu Tom, sondern auch sehr effektvoll seine Tonlage von Tenor zu Countertenor.
Weiter auf der Bühne standen Wilhelm Schwinghammer als König von Frankreich, Moritz Gogg als Herzog von Albany, Peter Galliard als Herzog von Cornwall, Jürgen Sacher als Graf von Kent, Lauri Vasar als Graf von Gloster und Frieder Stricker als Bedienter.
Am Ende gab’s durchmischte Publikumsreaktionen: Die musikalische Seite wurde vom Publikum frenetisch gefeiert: allen voran sahnten Bo Skovhus, Simone Young sowie der Komponist Aribert Reimann Beifall ab. Das Regieteam wurde vom Publikum mit geteilter Meinung aufgenommen: es gab sowohl Bravi als auch Buhs.
An dieser Stelle sei jedoch erwähnt, dass ich mich nicht im Premierenpublikum befand, sondern meine Eindrücke während einer Probe gesammelt habe. Daher stammen meine Beschreibungen der Publikumsreaktionen aus der NDR-Kultur-Liveübertragung.
Und zum Schluss möchte ich noch hinzufügen: auch wenn dieser Opern-Stoff sicherlich besonders schwer, grausam und dicht ist - nicht ohne Grund hat Verdi nach langem Rumdoktoren den Lear-Stoff wieder ad acta gelegt – würde ich persönlich diese Oper jedem empfehlen, der noch nicht soooo viel moderne Oper gehört hat und sich auf die Entdeckungstour begeben will. Denn die Musik bietet einen sehr intuitiven und griffigen Einstieg. Oder, um es mit den Worten von Karoline Gruber zu sagen: „Musik, die keine Sekunde durchhängt.“ (Interview NDR-Kultur) ;)
Soben wurde ein Video der Produktion von der Staatsoper Hamburg auf youtube hochgeladen (Nachtrag vom 17.01.2012):
Lear ist ja inzwischen eine der wenigen modernen Opern, die über drei Jahrzehnte Folgeinszenierung und Aufführungen erleben. Diese Saison außer in Hamburg noch in Frankfurt, Berlin und Kassel.
AntwortenLöschenAuf CD gibt es neben der Münchener Besetzung mit Dietrich Fischer-Dieskau als Lear auch eine Frankfurter Einspielung mit Wolfgang Koch. Schade, dass ich aktuell nicht nach Hamburg komme: Bo Skovhus hätte ich gerne gehört!
Mir hat die Oper sehr gut gefallen und Bo Skovhus war einfach toll. Mit etwas Glück steht die Oper nächstes Jahr - in gleicher/ähnlicher Besetzung - wieder auf dem Spielplan - vielleicht klappt es ja dann mit einem Besuch in Hamburg. ;)
LöschenHabe mir grad mal die Berliner Produktion angesehen, da ich dort recht häufig bin und ich einen Vergleich interessant finde. Blöderweise war da (Komische Oper) am 8. Januar die letzte Vorstellung.... Wobei ich mir nicht sicher bin, ob ich da soooo viel verpasst habe, denn ich bin nicht gerade ein Fan von Hans Neuenfels (um es sparsam auszudrücken ;))
Nach der Einspielung mit Dietrich Fischer-Dieskau werde ich mich aber mal auf die Suche begeben, immerhin hat er damals Reimann den Opern-Stoff vorgeschlagen....
Ich glaube die Aufnahme mit Fischer-Dieskau ist vergriffen oder aktuell nicht am Markt. Allerdings wurde mir versichert, dass die Frankfurter Aufnahme insgesamt besser sein soll .... Ich kenne nur die Frankfurter CD und finde sie beim Zuhören fesselnd. Live habe ich Lear allerdings noch nie gehört, was ich aber bald ändern will.
LöschenNa, dann werde ich mir mal die Frankfurter Einspielung genauer ansehen. Aber für den Fall, dass ich dir Finger doch nicht von München lassen kann, könnte ich die Aufnahme z.B. über amazon noch über dieses Händlerportal bekommen. Allerdings recht teuer. Alternativ und wesentlich günstiger kann man es sich auch als MP3 herunterladen. Oder man schaut mal bei youtube rein: http://www.youtube.com/watch?v=sZ5srOEgJFQ ;)
LöschenÜbrigens: am Samstag, 04.02. bringt der Deutschlandfunk um 19:05h einen Mitschnitt des Hamburger Lears - http://www.dradio.de/dkultur/vorschau/
LöschenVielen Dank! Das ist ein super Hinweis! :)
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