Sonntag, 28. Oktober 2012

Lady Macbeth von Mzensk - Staatsoper Hannover

Nach einer unfassbar guten Ausstellung im Hannoveraner Kunstverein (Hans Op de Beeck | visual fictions), war ich einigermaßen skeptisch, ob der Tag so positiv weitergehen konnte. Zumal ich mit einer nicht zu verbergenden Skepsis auf die Regie gespannt war. Denn das, was ich zuletzt von Frank Hilbrich gesehen habe, fand ich…. mhm… nicht so gut - um es mal sparsam auszudrücken.

Jedenfalls. Konnte er!

"'Lady Macbeth' handelt auch davon, wie Liebe sein könnte, wenn nicht ringherum Schlechtigkeit herrschte. An diesen Schlechtigkeiten ringsum geht die Liebe zugrunde. An den Gesetzen, am Besitzdenken, an der Geldgier, an der Polizeimaschinerie. Wären die Verhältnisse anders, wäre auch die Liebe eine andere,“ so Schostakowitsch über seine Oper. (Und hier habe ich dazu noch mehr geschrieben).

Das Regieteam (Frank Hilbrich – Inszenierung; Volker Thiele – Bühne; Gabriele Rupprecht – Kostüme) verlagerte die Handlung in ein modernes Unternehmen - was durchaus passte. Die Protagonisten bewegten sich in biederen engen Räumen, die auf einer erhöhten Drehbühne waren. Und auch wenn ich ja eigentlich kein Fan davon bin, die Bühne teilweise abzuhängen und/ oder künstlich zu verkleinern, fand ich das in dem Fall ein wirklich tolles Bild. Es unterstrich die gähnende Langweile gepaart mit dem inneren Drang nach Ausbruch und Leben. Sie war das Korsett in dem sich alles abspielte.

Jovial und mit Lust nach Abenteuer forderte Katarina Sergej heraus mit ihr zu kämpfen - und das just nachdem er zusammen mit einem ganzen Mob von Männern die Putzfrau (Köchin) des Hauses brutal vergewaltigt hatte. Unterbrochen vom Schwiegervater setzten Katerina und Sergej ihr Spiel am Abend in ihrem Schlafzimmer fort.

Schostakowitsch war übrigens der erste, der eine Sexszene auskomponiert hat. Die Musik ist an dieser Stelle pulsierend, pur, laut und natürlich nicht zuletzt rhythmisch. Jenseits von LEIDENschaft. Dafür befreiend. Orgastisch. Die sich anschließende Entspannung, mit der ihr immanenten abfallenden Erektion, vergaß er in der Partitur ebenfalls nicht. Hilbrichs insgesamt sehr realistischen Regie, sparte auch hier nicht mit Bildern – und zur weiteren Illustrierung standen die Bläser halbnackt um das Bett herum. Es ging also ordentlich zur Sache.

Im Nebenzimmer holte sich derweil der Schwiegervater Boris einen runter und beklagte seine altersbedingt schwindende Manneskraft. Anschließend, quasi als Konsequenz, musste Sergej dran glauben: Boris peitschte ihn im Blutrausch halbtot. Noch im blutverschmierten Hemd verlangte er von Katerina sie solle für ihn Pilze kochen. Was sie auch tat: Er bekam von ihr seine Mahlzeit allerdings zusammen mit einer Prise Rattengift.

Sergej und Katerina traten nun aus den beengten Räumen und standen auf der leeren Bühne. Die Möglichkeit zur Neugestaltung. Quasi ein unbeschriebenes Blatt Papier. Doch die Verhältnisse holten sie schnell wieder ein: Katerinas Mann kam zurück nach Hause. Einen anderen Handlungskanon als ihn kurzerhand zu ermorden, sahen sie offenbar nicht. Und erledigten dies auch noch äußerst brutal unmittelbar. Katerina würgte ihn mit einem Gürtel zu Boden, um ihm dann mit einem Kissen den Rest zu geben. Er lag schon tot da, als Sergej nochmal mit einem schweren Messingständer nachschlug. Nun hievten sie ihn in den Keller, wo er kurz darauf entdeckt wurde. In Folge wurden die beiden an ihrem Hochzeitstag gestellt und verhaftet. Währenddessen kullerten jede Menge (Paradis)Äpfel über die Bühne. Die ihre "Vertreibung" ankündigten.

Soweit so gut. Die bis dahin äußerst eindrückliche, hochemotionale und packende (Personen)Regie, verflüchtigte sich leider an dieser Stelle. Im Grunde kastrierte sie die revolutionäre Sprengkraft der Oper. Den umsichschlagenden wütenden Wunsch nach Freiheit. Denn es wurde nun jede Menge Müll auf die Bühne geblasen – später auch vom Schnürboden gekippt. Tote Ratten, die auch schon zu Beginn der Oper von den Protagonisten verschlungen wurden, kamen nur gehäuft vor. Beides diente als Sinnbild der animalischen Verrohung und menschlichen Abgründe. Das sibirische Straflager war eine Müllkippe, in der Konventionen keine Rolle spielten. Die Zwänge sich auflösten. Also, ziemlich genau das Gegenteil davon, was Schostakowitsch im Sinn hatte.

Trotzdem. Zugute halten muss man, dass es weiterhin spannend in der Personenregie blieb und das Bühnenbild zudem auch noch spektakulär anzusehen war. Die Beleuchtung im seichten Bühnennebel ließ den Müllberg recht poetisch daherkommen. Und. Die Besetzung war schlicht genial! Sowohl stimmlich – als auch optisch passten die komplette Sängerriege perfekt in die Oper und Szenerie.

Die Rolle der Katerina wurde von Gitta-Maria Sjöberg emotional tiefenintensiv gesungen – und gespielt! Für letzteres ein Extra-Wow, denn sie hatte als Einspringerin für die erkrankte Kelly God gerade mal einen einzigen Probentag! Ihr Liebster Sergej wurde von dem annähernd zwei Meter großen, breitschultrigen, ja sexy Alexey Kosarev gespielt und gesungen, als wenn die Rolle eigens für ihn geschrieben wurde. Schwiegervater Boris (Per Bach Nissen) und sein Sohn Sinowi (Ivan Turic) waren ebenfalls einwandfrei besetzt. Zusammen mit dem perfekt nervenreißend hämmernd und dennoch filigranen Dirigat von Karen Kamensek ein echtes Fest!

1 Kommentar:

  1. Danke für den ausführlichen Bericht.
    Habe auch diese Oper im Visier. Eine blutige Geschichte mit Schostakowitschs Musik, das wäre was für mich als Krimifan(^_~). Allerdings wird die Oper in der nächsten Saison nur in vier Städten im deutschsprachigen Raum aufgeführt. In Hannover, Gelsenkirchen, Gera und Zürich.

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