Nach einer unfassbar guten
Ausstellung im Hannoveraner Kunstverein (Hans Op de Beeck | visual fictions), war
ich einigermaßen skeptisch, ob der Tag so positiv weitergehen konnte. Zumal ich
mit einer nicht zu verbergenden Skepsis auf die Regie gespannt war. Denn das,
was ich zuletzt von Frank Hilbrich gesehen habe, fand ich…. mhm… nicht so gut -
um es mal sparsam auszudrücken.
Jedenfalls. Konnte er!
"'Lady Macbeth' handelt
auch davon, wie Liebe sein könnte, wenn nicht ringherum Schlechtigkeit
herrschte. An diesen Schlechtigkeiten ringsum geht die Liebe zugrunde. An den
Gesetzen, am Besitzdenken, an der Geldgier, an der Polizeimaschinerie. Wären
die Verhältnisse anders, wäre auch die Liebe eine andere,“ so Schostakowitsch
über seine Oper. (Und hier habe ich dazu noch mehr geschrieben).
Das Regieteam (Frank Hilbrich
– Inszenierung; Volker Thiele – Bühne; Gabriele Rupprecht – Kostüme) verlagerte
die Handlung in ein modernes Unternehmen - was durchaus passte. Die
Protagonisten bewegten sich in biederen engen Räumen, die auf einer erhöhten
Drehbühne waren. Und auch wenn ich ja eigentlich kein Fan davon bin, die Bühne teilweise
abzuhängen und/ oder künstlich zu verkleinern, fand ich das in dem Fall ein
wirklich tolles Bild. Es unterstrich die gähnende Langweile gepaart mit dem
inneren Drang nach Ausbruch und Leben. Sie war das Korsett in dem sich alles
abspielte.
Jovial und mit Lust nach
Abenteuer forderte Katarina Sergej heraus mit ihr zu kämpfen - und das just
nachdem er zusammen mit einem ganzen Mob von Männern die Putzfrau (Köchin) des
Hauses brutal vergewaltigt hatte. Unterbrochen vom Schwiegervater setzten
Katerina und Sergej ihr Spiel am Abend in ihrem Schlafzimmer fort.
Schostakowitsch
war übrigens der erste, der eine Sexszene auskomponiert hat. Die Musik ist an dieser Stelle pulsierend, pur,
laut und natürlich nicht zuletzt rhythmisch. Jenseits von LEIDENschaft. Dafür
befreiend. Orgastisch. Die sich anschließende Entspannung, mit der ihr immanenten
abfallenden Erektion, vergaß er in der Partitur ebenfalls nicht. Hilbrichs insgesamt
sehr realistischen Regie, sparte auch hier nicht mit Bildern – und zur weiteren
Illustrierung standen die Bläser halbnackt um das Bett herum. Es ging also
ordentlich zur Sache.
Im
Nebenzimmer holte sich derweil der Schwiegervater Boris einen runter und beklagte seine
altersbedingt schwindende Manneskraft. Anschließend, quasi als Konsequenz, musste
Sergej dran glauben: Boris peitschte ihn im Blutrausch halbtot. Noch im
blutverschmierten Hemd verlangte er von Katerina sie solle für ihn Pilze kochen. Was sie auch tat: Er bekam von ihr seine Mahlzeit allerdings zusammen mit einer Prise Rattengift.
Sergej
und Katerina traten nun aus den beengten Räumen und standen auf der leeren
Bühne. Die Möglichkeit zur Neugestaltung. Quasi ein unbeschriebenes Blatt
Papier. Doch die Verhältnisse holten sie schnell wieder ein: Katerinas Mann kam zurück nach Hause. Einen anderen
Handlungskanon als ihn kurzerhand zu ermorden, sahen
sie offenbar nicht. Und erledigten dies auch noch äußerst brutal unmittelbar.
Katerina würgte ihn mit einem Gürtel zu Boden, um ihm dann mit einem Kissen den
Rest zu geben. Er lag schon tot da, als Sergej nochmal mit einem schweren
Messingständer nachschlug. Nun hievten sie ihn in den Keller, wo er kurz darauf
entdeckt wurde. In Folge wurden die beiden an ihrem Hochzeitstag gestellt und verhaftet. Währenddessen kullerten jede Menge (Paradis)Äpfel über die Bühne. Die ihre "Vertreibung" ankündigten.
Soweit
so gut. Die bis dahin äußerst eindrückliche, hochemotionale und packende
(Personen)Regie, verflüchtigte sich leider an dieser Stelle. Im Grunde kastrierte
sie die revolutionäre Sprengkraft der Oper. Den umsichschlagenden wütenden
Wunsch nach Freiheit. Denn es wurde nun jede Menge Müll auf die Bühne geblasen –
später auch vom Schnürboden gekippt. Tote Ratten, die auch schon zu Beginn der
Oper von den Protagonisten verschlungen wurden, kamen nur gehäuft vor. Beides
diente als Sinnbild der animalischen Verrohung und menschlichen Abgründe. Das sibirische Straflager war
eine Müllkippe, in der Konventionen keine Rolle spielten. Die Zwänge sich auflösten. Also, ziemlich genau das Gegenteil davon, was Schostakowitsch im Sinn hatte.
Trotzdem.
Zugute halten muss man, dass es weiterhin spannend in der Personenregie blieb
und das Bühnenbild zudem auch noch spektakulär anzusehen war. Die Beleuchtung im
seichten Bühnennebel ließ den Müllberg recht poetisch daherkommen. Und.
Die Besetzung war schlicht genial! Sowohl stimmlich – als auch optisch passten die
komplette Sängerriege perfekt in die Oper und Szenerie.
Die
Rolle der Katerina wurde von Gitta-Maria Sjöberg emotional tiefenintensiv
gesungen – und gespielt! Für letzteres ein Extra-Wow, denn sie hatte als Einspringerin
für die erkrankte Kelly God gerade mal einen einzigen Probentag! Ihr Liebster
Sergej wurde von dem annähernd zwei Meter großen, breitschultrigen, ja sexy Alexey
Kosarev gespielt und gesungen, als wenn
die Rolle eigens für ihn geschrieben wurde. Schwiegervater Boris (Per Bach
Nissen) und sein Sohn Sinowi (Ivan Turic) waren ebenfalls einwandfrei besetzt. Zusammen
mit dem perfekt nervenreißend hämmernd und dennoch filigranen Dirigat von Karen
Kamensek ein echtes Fest!
Danke für den ausführlichen Bericht.
AntwortenLöschenHabe auch diese Oper im Visier. Eine blutige Geschichte mit Schostakowitschs Musik, das wäre was für mich als Krimifan(^_~). Allerdings wird die Oper in der nächsten Saison nur in vier Städten im deutschsprachigen Raum aufgeführt. In Hannover, Gelsenkirchen, Gera und Zürich.