Montag, 19. Dezember 2011

Don Carlos - Staatsoper Hamburg

©Sarah-Maria
In der Hamburgischen Staatsoper wurde gestern Don Carlos in Peter Konwitschnys Regie in der französischen Urfassung gespielt – und nicht nur das: es waren einige Szenen enthalten, die Verdi auf Wunsch der Pariser Oper noch vor der Uraufführung streichen musste, weil die Oper sonst so lang gewesen wäre, dass das Publikum nicht mehr den letzten Zug der Pariser Vorortbahn erreicht hätte. Und dabei bleibt festzuhalten, dass Don Carlos zu den kürzesten der 5-Stunden-Opern auf der Gefühlt-Skala gehört – finde ich jedenfalls. ;)

Am Anfang ist das Bühnenbild noch offen, schließt sich aber nach dem erzwungenen Beziehungsaus von Carlos und Elisabeth und bleibt fortan eingezäunt von einer himmelshohen unüberwindbaren Mauer, die nur durch, für einen Menschen viel zu kleine, Türen betreten und verlassen werden kann. Die Protagonisten kommen gebückt in die Szenerie und müssen sie so auch wieder verlassen.

Daran ändert auch die Pause nichts - nach der nix mehr ist, wie es war – scheinbar jedenfalls: denn für die Ketzerverbrennung konnte, sollte und durfte sich jeder hinsetzen, wo er wollte, während die Ketzer medienwirksam, gefolgt von einem Tross Fotographen und begleitet von einer Blaskapelle, durch’s Publikum gezerrt wurden. Dass das Hamburger Publikum damit ganz selbstverständlich den Part der geifernden Masse im Spektakel Menschenverbrennung übernommen hatte bzw. die Menschenverbrennung erst dadurch hat zum Spektakel werden lassen, dürfte den meisten erst aufgefallen sein, als im Bühnenhintergrund Kriegs- und Folterbilder gezeigt wurden, sowie Flyer von den obersten Rängen geworfen wurden - was szenisch sehr an die Flyer der Weiße Rose in der Münchener Universität erinnerte.

Freilich war nach dem Spektakel Schluss mit Lustig und das Bonbon der freien Platzwahl - à la der Pöbel sitzt nun in der ersten Reihe – galt nicht mehr. Alles kehrte wieder zurück auf seinen Platz. Und für jeden, der sich im Don Carlos schon immer gefragt hat, warum sich die Bauern zum Schluss doch wieder der Kirche bzw. dem König – sprich den Verhältnissen - unterwerfen, dürfte, nach der erfolgreich absolvierten Teilnahme an dem Publikum-Experiment Zementierung der Verhältnisse, nunmehr diese Frage beantwortet wissen. Man ist nicht nur Opfer der Verhältnisse, sondern sorgt auch dafür, dass sie so bleiben.

Treffend geht es nach der zweiten Pause und dem Sortieren des Publikums mit der Szene weiter, in der König Philippe, der Tyrann und Zerstörer der Liebe, sich verzweifelt danach sehnt geliebt zu werden: „Die Trauer des Königs zeigt uns, welchen Preis ein Mensch für die Macht zahlen muss. Er ist nämlich gezwungen, sein Menschliches hinzugeben. Er wird mächtig sein, aber nicht glücklich. Und darin zeigt sich, dass Verhältnisse, die auf Macht gegründet sind, unmenschlich sind, dass sie Menschen zerstören, in ihrem Innersten und Eigentlichsten verwunden.“ (Konwitschny im Programmheft S.25) König Philipp wurde gestern Abend von Tigran Martirossian gesungen, der es verstand eben jenen Zwiespalt auch in seine Interpretation einzubauen.  

Der König singt diese Arie passend während/unmittelbar nach seinem Ehebruch mit Prinzessin Eboli, welche gestern Abend von Nadja Michael gesungen wurde, deren Stimme und Interpretation ich bisher noch nie fesselnd fand – und daran hat sich auch gestern Abend nix geändert. Ich fand ihre Eboli in erster Linie laut und total unterkühlt. Nun möchte man meinen, dass einer Rolle wie der Eboli eine gewisse Kälte ja quasi innewohnt. Doch da liegt man – zumindest stimmlich – falsch. Denn neben Kalkül und Berechnung, steckt in der Prinzessin auch die unerwiderte Liebe zu Don Carlos, der glühende Hass und die späte Reue. Konwitschny nutzt in seiner Regie den (eigentlichen) Ballettteil dafür, um herauszukitzeln, das Prinzessin Eboli sich ja eigentlich „nur“ ein normales, aber glückliches Eheleben wünscht. Dass sie sich in ihrem Verhalten, aber als nicht gerade liebenswert erweist, verdeutlicht, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes verrückt ist, da sie sich offenbar völlig von der Realität entrückt hat.

Neben dem Ehebruchs des Königs und der unmittelbar anschließenden Verdächtigung Elisabeths ein heimliches Verhältnis mit Don Carlos zu haben, sticht an Grausamkeiten freilich besonders heraus, dass der König nicht nur das Glück seines Sohnes opfert, sondern er auch durchaus des Öfteren bereit ist ihn umbringen zu lassen. Sterben muss am Ende ein anderer: nämlich der beste Freund von Carlos Rodrigue – gestern wirklich genial und unglaublich eindringlich gesungen von Rodion Pogossov. Da hilft es auch nix, dass der König nach der von ihm befohlenen Ermordung lamentiert: „Wer gibt mir diesen Toten wieder?“ Rodrigo ist der Ungerechtigkeit zum Opfer gefallen.

Elisabeth, die im Libretto als schöne Frau mit gutem Herzen angekündigt wird, und damit quasi zum Innbegriff der Liebe wird, wurde gestern Abend von Iano Tamar gesungen. Anfänglich fand ich sie ein wenig nicht-bei-der-Sache, das hat sich aber über den Abend verflüchtigt und insbesondere am Schluss legte sie noch mal ordentlich nach.

Ihr Geliebter Don Carlos wurde zunächst von Andrew Richards gesungen, welcher jedoch nach der Pause nicht wieder kam und durch Jean-Pierre Furlan ersetzt wurde, der sich schon seit Beginn der Vorstellung für den kränkelnden Ursprungs-Don bereit gehalten hatte und sich dabei als ein mehr als würdiger Ersatz herausgestellt hat.

Das Dirigat von Alexander Joel hatte es in sich: mit viel Temperament zerrte die Musik alles aus einem heraus und ließ einen niemals zur Ruhe kommen. So ging man am Ende mit viel sowie diversen Nachklang nach Hause.

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